Kim & Struppi by Christian Eisert
Autor:Christian Eisert
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2014-02-24T05:00:00+00:00
Der Vogel der Nacht
Die Dunkelheit drückte auf die Ferienhaussiedlung von Ryonggang. Im Dickicht des Nadelwalds zirpten die Zikaden. Bäume und Nachtschwärze verschluckten die anderen Häuser und die Mauer, die alles umschloss, sowie die Wachen mit ihren Kalaschnikows.
Von Thanh kein Lebenszeichen.
Ich machte eine Kopfbewegung hoch zu unserem Zimmer: »Also, oben war sie nicht mehr.« Mir wurde im selben Moment klar, dass ich damit nicht zur Beruhigung unserer Aufpasser beitrug.
Nachdem wir eine Stunde zuvor an den Wachposten vorbei durchs Tor gefahren waren, hatte Herr Pak ein modernes einstöckiges Gebäude angesteuert, das von seiner riesigen Dachhaube fast erdrückt wurde. Eine Rauchpause lang verschwand Chung im Haubenhaus und kehrte, die Zimmerschlüssel in der Hand, mit der Information zurück: »Um halb zehn kommt Ihre heiße Quelle ins Zimmer.«
Wir fuhren mehrere Kurven durch den Nadelwald, ab und zu lugten zwischen den Wipfeln Dächer hervor. Wir bogen in einen Seitenweg ein, wo wir vor einem weißen Ferienhaus hielten. Glatt verputzt, kantig, neu, zwei Etagen. Im Eingangsbereich warteten auf jeden lederne Latschen. Die Sohle hell-, die Haltebrücke dunkelbraun. »Wir ziehen unsere Schuhe aus. Koreanische Tradition«, erklärte Chung. Und mir entfuhr: »Ach, wie in Japan.«
Auch ohne Thanhs empörtes Schnalzen wäre mir mein Fauxpas sofort klar geworden. Besonders ärgerlich: Eigentlich fielen Fettnäpfchen in Thanhs Bereich. Unsere Begleiter zeigten keine Reaktion, sie widmeten sich dem Schuhwechsel.
Chung, Rym und Herr Pak schliefen in einem von drei Zimmern unten, unseres lag im ersten Stock. Die Einrichtung eine Orgie in Gold und Weiß. Golden der floral gemusterte Teppich und die seidig glänzenden Vorhänge, weiß die Einzelbetten und die parallel dazu stehende Schrankwand, in deren Vitrine Weingläser blitzten. Weiß auch die Frisierkommode und der Kühlschrank an der Wand gegenüber den Fußenden unserer Betten. Von der Größe hätte das Kühlgerät besser in eine Singleküche gepasst als in dieses schwülstige Ambiente, farblich fügte es sich jedoch prima ein. Es gab zwei verschiedene Steckdosenarten, doch keine, die unserer Norm entsprach. Im Display meiner Digicam blinkte seit Namp’o das Batteriesymbol.
Im Bad, das vom großzügigen Flur unseres Ferienapartments abging, entfuhr uns beiden ein Schreckensschrei. Und innerlich noch ein zweiter, weil wir uns so überraschend einig waren.
Die Sauberkeit von Fliesen, WC und Waschbecken hätte Jubel verdient, aber der Anblick der Wanne verkehrte einen solchen Gefühlsausbruch ins Gegenteil. Braune Schlieren überzogen die blauen Mosaiksteinchen, mit denen die Wanne ausgekleidet war. Einige Fugen bröckelten.
»Vielleicht ändert sich das noch, wenn um halb zehn die heiße Quelle kommt.«
Thanh konnte darüber nicht lachen und verließ das Bad.
Dann war es schon Zeit fürs Abendessen. Ich blieb noch kurz im Bad. Und als ich herauskam, war Thanh verschwunden.
Nun stand ich mit den Guides vor unserem Haus und wartete. Um sieben hatten sie uns hinüber zum Abendessen im Haupthaus fahren wollen. Chung saugte hohlwangig an seiner Zigarette. Er tauschte Blicke mit Rym. Rym strich seine Kippe sorgfältig an der Schuhsohle aus und schnippte sie weit in den Wald hinein. Dann ging er nach drinnen. Ohne die Schuhe zu wechseln.
»Man kann die Sterne sehen …«, versuchte ich ein Gespräch in Gang zu setzen.
»Ja, Sterne«, sagte Chung.
Ich setzte nach: »Wie still es hier ist …«
Chung brüllte etwas auf Koreanisch ins Haus.
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